Sonntag, 17. Mai 2015

Thesen zum Streik im Sozial und Erziehungsdienst

Ich schreibe hier mal meine Ansichten und Meinungen zum Streik im Sozial- und Erziehungsdienst zusammen. Ich gebe keine Garantie auf Vollständigkeit und Richtigkeit. Meine Sicht ist auch einseitig auf ErzieherInnen in Krippe, Kindergarten und Hort beschränkt, da ich selbst zu wenig Einblick in das Arbeitsfeld der SozialpädagogInnen, HeilerziehungspflegerInnen, KindheitspädagogInnen, etc. habe. Für manche „Behauptungen“ wurden mir schon Quellen zugetragen, für manche wird es im Verlauf noch welche geben. 

Die ErzieherInnen fordern ja nur mehr Geld!
Richtig. Denn was kaum einer weiß: in diesen Verhandlungen geht es „nur“ um die Eingruppierung im öffentlichen Dienst. Themen wie Arbeitsbelastung, Gruppengröße oder Arbeitszeit sind nicht Gegenstand der Verhandlungen. Daher kann sich der aktuelle Streik auch nicht auf diese Dinge beziehen. Wie viel Sinn hat es wohl für Dinge zu streiken, die gerade gar nicht verhandelt werden? Aber das „mehr Geld“ ist auch nicht ganz so einfach. Es wird schließlich eine allgemein bessere Eingruppierung aller im Sozial-und Erziehungsdienst Tätigen gefordert und keine „normale“ Lohnerhöhung.
- Grund 1 dafür: Eine einfache Lohnerhöhung klingt nett, bringt aber nicht viel. Eine bessere Eingruppierung bringt tatsächlich eine sichtbare Veränderung auf dem Gehaltszettel.
- Grund 2: Die Eingruppierung der Sozial- und Erziehungsdienste erfolgt innerhalb einer Gehaltstabelle für den öffentlichen Dienst. Damit bestimmen die Arbeitgeber (die, die immer Geld sparen wollen) wie viel ein/e ErzieherIn verdienen darf. Was nun kaum einer weiß: über die Eingruppierung durfte die letzten 5 Jahre nicht verhandelt werden. Das hatten die Arbeitgeber 2009 so eingefädelt. Und wenn diese Verhandlungen vorbei sind, werden sie eine ähnliche Klausel, vielleicht sogar mit längerem Zeitraum, einfordern.

Ergo: wenn es jetzt keine neue Eingruppierung und damit eine echte Mehr-Bezahlung gibt, wird es auf lange Sicht nur weiter lächerliche Häppchen geben. 

Warum gehen die ErzieherInnen nicht zu einem Arbeitgeber, der sie „frei“ bezahlt?
(Mit Staat meine ich im Folgenden Bund, Länder und Kommunen)
Auch dafür gibt es mehrere Gründe. Grundproblem ist, dass staatliche Zuschüsse für einen Betreuungsplatz in Krippe, Kindergarten und Hort an viele Rahmenbedingungen gekoppelt sind. Ein normaler Betreuungsplatz kostet weit über 1000€ im Monat. Jetzt fragen sich einige Eltern „Ich zahle aber nicht mal 400€.“
Ja, das liegt an den staatlichen Zuschüssen aufgrund der engen Rahmenbedingungen. Es gibt zum Beispiel einen Schlüssel dafür, wie groß eine Einrichtung sein darf. Pro Kind gibt es einen festen qm Schlüssel, also wie viel Platz einem Kind zustehen muss. Wird dieser Schlüssel überschritten, also mehr Platz für die Kinder geschaffen, gibt es weniger Geld vom Staat. Es gibt auch einen ausgefeilten Betreuungsschlüssel, wie viele Kinder pro Erzieher es geben soll (rechtlich vorgeschrieben 1:11,5 „empfohlen“ 1:10 s. AVBayKiBiG §17 Abs. 1). Wird der Schlüssel zu weit unterschritten, also „zu viele“ pädagogische Fachkräfte für die Kinder angestellt, kürzt der Staat den Förderbeitrag der Einrichtung. Auch die Bezahlung der pädagogischen Fachkräfte spielt eine wichtige Rolle. Nur die Träger, die ihr Personal nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes bezahlen, erhalten viele Zuschüsse. Werden die ErzieherInnen besser bezahlt, gibt es viel weniger Geld vom Staat.
Ja, dies bedeutet folgendes: Möchte ein Träger sich für die Kinder und Personal einsetzen und zum Beispiel sein Personal gerecht bezahlen, werden ihm staatliche Zuschüsse in Form von Förderbeiträgen gestrichen.
Das hat zur Folge, dass Eltern eben nicht einen geringen Bruchteil für den Betreuungsplatz bezahlen müssen, sondern eben mehrere 100€ bis weit über 1000€ pro Monat. Aber das kann sich ja eigentlich jeder leisten oder?

Es gibt nun wenige Einrichtungen die eben dies tun, aber die verfügbaren Arbeitsplätze sind beschränkt. Ich schätze maximal 5% der ErzieherInnen haben die Chance in einem Betrieb mit fairer Bezahlung zu arbeiten.

Aber die ErzieherInnen spielen doch nur und trinken Kaffee. 
Ja. Und ab und zu, wenn uns so richtig langweilig ist, spielen wir noch Streitschlichter, stärken dabei die Kinder im Konfliktmanagement, vermitteln ihnen Normen und moralische Werte und legen den Grundstein für soziales Verhalten. Singen zur Stimmbildung, auditives Training und Sprachförderung passieren auch ab und an, sowie psychomotorische Bewegungsspiele bei denen die Kinder lernen mit ihrem Körper umzugehen, Balance halten, rennen, springen, Bälle werfen und und und. Außerdem viele verschiedene Spiele um eine Vielfalt der Beschäftigung kennen zu lernen, viele verschiedene (Gemeinschafts)spiele, denn im Spiel schulen Kinder Wahrnehmung, Konzentration, Gedächtnis sowie logisches und strategisches Denkvermögen, Bastelaktionen zur motorischen und kreativen Förderung, alltäglich integrierte Sprachförderung, Stärkung des Selbstbewusstseins und Förderung zur Persönlichkeitsentwicklung und Selbstständigkeit soll es gerüchteweise auch geben.
Und weil ErzieherInnen dann immer noch nichts mit ihrer Zeit anzufangen wissen, füllen sie noch für jedes einzelne Kind Beobachtungsbögen aus und führen Entwicklungsgespräche mit den Eltern, was nicht selten den Umfang von Erziehungshilfe, Erwachsenenbildung und therapeutischer Begleitung annimmt.
Das ganze kommt auch nicht von ungefähr. Als Grundlage dient der Bayrische Bildungs- und Erziehungsplan. Dieses schlanke 500 seitige Dokument führt in aller Kürze aus, welche Schwerpunkte in Krippe Kita und Hort zu setzten sind. Dass das ganze von jedem Erzieher selbst mit Leben gefüllt und weiter vertieft werden muss versteht sich von selbst.
Ach ja und demokratische Bildung, die Bildung einer eigenen Meinung und diese auch vertreten zu lernen ....
Nein, selbstbewusste Menschen die kreativ mitdenken, Vertrauen in ihre eigenen Rechte haben und etwas verändern braucht unsere Gesellschaft ja nicht.

 Es ließe sich noch eine ganze Seite nur mit Schlagworten füllen, was jeden Tag in einer Krippe, einem Kindergarten oder Hort „passiert“ und selbst dann wäre noch nicht alles genannt. In Krippe und Kindergarten wird der Grundstein der späteren Bildung gelegt,vor allem die ersten 6 Lebensjahre sind am entwicklungsintensivsten. Päd. Fachkräfte fördern individuell, beobachten jedes Kind, erkennen dadurch frühzeitig Entwicklungsrisiken und können diesen entgegenwirken & bieten dem Kind in der Einrichtung ein soziales Netzwerk.

Wenn Sie, liebe Eltern, also die ErzieherInnen am Nachmittag mit einer Tasse Kaffee in der Hand in der Sonne finden, könnte dies nicht auch ein gutes Vorbild für die Kinder sein, sich auch mal zu entspannen und Möglichkeiten der Selbstachtung zu entdecken?

ErzieherIn ist ja keine hoch qualifizierte Ausbildung (kein akademischer Abschluss), warum also mehr Geld? 
Ein/e ErzieherIn ist nicht studiert, SozialpädagogInnen und KindheitspädagogInnen zum Beispiel schon. Ach so, die streiken doch aber auch mit?!
Die ErzieherInnenausbildung erfolgt in den meisten Bundesländern in 4 Jahren, in Bayern sogar 5 Jahren. Für welches Handwerk lernt man so viel? Nebenbei: die meisten Azubis im Handwerk bekommen in Ihrer Ausbildung mehr Geld als ein/e ErzieherIn im letzten, praktischen Ausbildungsjahr (Anerkennungsjahr). Ein/e ErzieherIn muss meistens sogar mindestens 2 Jahre von BaFöG leben und deshalb mit Schulden ins Berufsleben starten.
Die Ausbildungsstätten werden bewusst Fachschulen und FachAKADEMIEN genannt. Die Bezeichnung für eine/n ErzieherIn in der Ausbildung ist nicht BerufsschülerIn sondern Studierende/r. Mit dem Abschluss der ErzieherInnenausbildung erlangt man die fachgebundene Hochschulreife, quasi automatisch. Wenn man noch Mathematik als Zusatzfach belegt bekommt man sogar die allgemeine Fachhochschulreife. Im Handwerk muss man dafür extra die BOS besuchen.

Wer kam nochmal auf die Idee eine ErzieherInnenausbildung auf einem niedrigen Niveau zu sehen? 

Noch mehr Spaß Was auch kaum jemand weiß (gelobte Pressefreiheit) ist, dass der ErzieherInnenberuf seit mehreren Jahren immer wieder torpediert wird und von staatlicher Seite permanent abgewertet werden soll. Zuerst werden wahllos Krippen in die Landschaft gepflanzt, weil die nach dem Blitzentscheid für einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab 3 Monaten ganz plötzlich fehlen. Als die Gebäude stehen fällt ganz plötzlich auf, dass es nicht genügend Personal auf dem Arbeitsmarkt gibt. Um dieses sehr plötzliche Phänomen zu beheben sollen zuerst die Schleckerdamen innerhalb von 3 Monaten eine 4jährige Ausbildung nachholen.
Als dies nicht klappt wird derselbe Versuch mit Langzeitarbeitslosen gestartet. Die kann man nämlich auch gegen ihren Willen in die Ausbildung zwingen (wer einen Weiterbildungsvorschlag nicht annimmt, dem wird das ALG2 gekürzt oder gestrichen).
Als das auch nicht klappt werden irgendwann klammheimlich einige spanische Fachkräfte angeworben und lernen innerhalb von 3 Monaten „gutes“ Deutsch (in Spanien, auf Niveau B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens) um dann hier der Tropfen auf dem heißen Stein zu sein.

Diese spanischen Kindheitspädagogen haben allerdings ein ganz anderes Bildungsverständnis in ihrem Land, in welchem der Kindergarten der Schulbildung angeschlossen und deshalb bewusst „verschult“ ist, weshalb sie sich in unserem Bildungssystem nur schwer zurechtfinden und akklimatisieren können.

Ach ja, studiertes Fachpersonal aus Osteuropa bekommt den Abschluss in Deutschland allerhöchstens als Kinderpfleger anerkannt. 

Der aktuelle Versuch in Bayern ist ähnlich lustig. Die Fachakademien sollen zu Berufsschulen und die Erzieherausbildung auf 3 Jahre reduziert werden. So spart man sich wenigsten 1 Jahr. Das aber unter einer gekürzten Ausbildungsdauer die Quantität an Fachkräften kurzfristig steigt aber die fachliche Qualität leiden könnte und diese, durch wissenschaftliche Studien belegt, ausschlaggebend für eine gelungene Bildungsbiographie der Kinder ist, wurde dabei wohl kaum bedacht oder eiskalt in Kauf genommen (s. EPPSE-Studie).

Schlusswort 
Es gibt einen Mangel an ErzieherInnen in unserem Land. In der Wirtschaft führt der Mangel eines Produktes zur Wertsteigerung. In der freien Wirtschaft wird man nach Leistung und Leistungsbereitschaft gezahlt. Wer mehr kann, bekommt mehr Geld, wer viel Verantwortung hat bekommt mehr Geld.

Ich sage es ungern, aber im Sozial- und Erziehungsdienst können wir von der Wirtschaft lernen. Die Verantwortung steigt stetig in der Arbeit mit unseren Kindern. Die Arbeitsbedingungen verbessern sich allerdings nicht. Der Beruf soll permanent abgewertet werden. Schnellschussbeschlüsse sind die momentane Antwort auf lange vorhersehbare Phänomene. Ich frage mich, wann die Arbeitgebervertreter endlich ihren Kopf benutzen und nicht nur knausriges Sparverhalten eines Finanzministers an den Tag legen!

Solltet ihr gleicher oder ähnlicher Meinung sein hinterlasst doch euren Namen als Kommentar, sozusagen als Unterschrift auf diesen Thesen. Was wäre wenn wir so mehrere 1000 Unterschriften sammeln und diese dann vorzeigen können?

2 Kommentare:

  1. E.H. (Erzieherin in einem Hort, Haus für Kinder & Kindheitspädagogik-Studentin)

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  2. Ich habe noch nie einen derart umfangreichen Beitrag in einer Zeitung (oder deren online - Pendant) oder im Rundfunk oder Fernsehen gelesen oder gehört. Ein Augenöffner.

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